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Vom körperlichen Erleben zum Darstellen und Gestalten
Unter dem Motto »Wir sind das Wetter!« haben sich Kinder der Schuleingangsstufe in das dynamische Geschehen von Wetterereignissen hineinversetzt. Petra Kathke berichtet, wie sich im Rahmen dieser Thematik körperbezogenes Erleben und bildnerisches Gestalten verknüpfen lassen und auf welche Weise darstellerische Aktivitäten zu Sonnenschein, Regenwolken, Wind und Gewitter ein intensives Bild-Erleben zwischen Körper, Fläche und Raum anstoßen.
Zwanzig Grundschulkinder der Eingangsstufe bewegen sich auf unterschiedliche Weise durch den großen Raum. Sie tragen gelbe, blaue oder weiße Shirts. Einige schwingen transparente, dünne Folien, andere ein Bündel langer Schnüre. Mit ihren Körpern reagieren die Sechs- bis Achtjährigen auf eine Geschichte, die ihnen Jasmin erzählt. Zusammen mit Hannah führt sie in den ersten Block einer interdisziplinär angelegten Unterrichtsreihe zum Thema Wetter ein. Protagonist:innen ihrer selbstgeschriebenen Geschichte sind die Wetterphänomene selbst: Sonne, Wolken, Wind, Regen, Blitz und Schnee. In bildhafter Sprache berichtet die Studentin der Kunstpädagogik vom langsamen Aufgehen der Son-ne am Morgen, von Wolken, die über den Himmel ziehen und immer dunkler werden, vom Wind, der sie zusammentreibt, bis es schließlich zu regnen beginnt.
Auch Blitze, Schnee und Hagel kommen vor. Liegend oder sitzend lauschen die Kinder mit geschlossenen Augen der Geschichte. Beim erneuten Vorlesen schlüpfen sie, den Farben ihrer Shirts entsprechend, in die Rolle einzelner Wetterereignisse, um sie auf spielerisch-performative Weise zu verkörpern. Spannungsvoll und einfühlsam schildert Jasmin, was für Kinder alltäglicher Bestandteil ihrer Lebenswelt ist. Dennoch – oder gerade deshalb – rückt das dynamische Wettergeschehen am Himmel eher selten in den Mittelpunkt gestaltender Aktivitäten. Zwar besetzen nach wie vor Sonnen mit ausgreifenden Strahlen die obere Ecke von Kinderbildern. Auch bauchige Kumuluswolken werden hin und wieder gezeichnet oder mit blauer Farbe über Wiesen und Hausdächer gemalt. Seltener fallen Regentropfen oder gar Schneeflocken aus den Wolken – wie auch sollen sie auf dem weißen Blatt sichtbar werden?
Noch schwieriger wird es mit Wind, der sich als unsichtbares Ereignis jeder Vergegenständlichung entzieht und nur über den Umweg seiner Auswirkungen darstellbar ist. Kinder im Alter von vier bis acht Jahren setzen Sonne und Wolken daher oft nur als schematische Kürzel in ihren Bildern ein, um einen Außenraum zu kennzeichnen oder den oberen Bereich des Blattes als Zone des Himmels von der Erde abzugrenzen. Ohne narrative Einbindung ist das Wetter für sie kaum bildwürdig. Dies erstaunt, handelt es sich doch um eines der wenigen Naturereignisse, das jedes Kind täglich am eigenen Leib erfährt: Sonne, die wärmt und ins Freie lockt, Regen, der eine:n durchnässt, Wind, gegen den man ankämpfen muss, grollender Donner und zuckende Blitze, die Angst machen, und nicht zuletzt jener kalte, in unseren Breitengraden zunehmend seltener herabschwebende Stoff, aus dem sich Schneebälle oder Schneefiguren formen lassen und der alle Farben unter einer weißen Decke verbirgt. Damit liegt die Frage auf der Hand, wie sich im Bereich von Darstellungs- und Gestaltungsaktivitäten eine Auseinandersetzung mit Wetterphänomenen anbahnen lässt, die im Sinn ästhetischer Erfahrungsbildung beim Erleben der Kinder ansetzt und zum bewussten Wahrnehmen und Würdigen des atmosphärischen Geschehens beiträgt.
Spielerisch-performatives Einstimmen
Neben dem gemeinsamen Erleben und Aufzeichnen des aktuell herrschenden Wetters im Freien, dem Anhören des Wetterberichts oder dem Betrachten von Wetterkarten können besonders spielerisch-performative und gestalterisch-erkundende Aktivitäten Wetterphänomene ins Bewusstsein der Kinder rücken. Jasmins Geschichte lenkt ihre Wahrnehmung auf ein breites Spektrum dynamischer Ereignisse und fordert sie zu Beginn des mehrwöchigen Vorhabens heraus, das Aufgehen der Sonne, das Dahintreiben und Verformen von Wolken, den einsetzenden und sich zum Wolkenbruch steigernden Regen ebenso zu verkörpern wie Schneeflocken und Blitze. Ihrer jeweiligen Rolle in der Geschichte folgend, bewegen sich die Kinder langsam oder schnell, tänzerisch selbstbezogen oder gestisch-raumgreifend aufeinander zu oder voneinander weg. Sie erzeugen Geräusche mit Folien, bereitliegenden Instrumenten oder ihren Stimmen, um Wind oder Regen akustisch zu imitieren. Auf diese Weise entfaltet das Vortragen der Geschichte ein gruppendynamisches Geschehen, an dem jedes Kind teilhat.
Vom anfänglichen Zuhören und imaginativen Vorstellen zum mit- und nachvollziehenden Bewegen wird allmählich deutlich, dass es im Verlauf des Wettergeschehens Beziehungen zwischen den Ereignissen gibt: Wind vertreibt den Regen, Wolken bringen Schnee, Sonnenschein löst Wolken wieder auf. Somit fühlen sich die Kinder aufgefordert, nicht nur miteinander zu agieren, sondern mit ihren Bewegungen aufeinander zu reagieren. Bereits das einführende Vorlesen hat die Imagination und Erinnerung der Kinder angeregt. Indem sie beim zweiten Lesen das sprachlich vermittelte Wettergeschehen durch Bewegungen im Raum leiblich nachempfinden und versuchen, sich ihm durch körperliche Angleichung »anzuähneln«, wie es die Autoren Gunter Gebauer und Christoph Wulf in ihrem Buch über Mimesis nennen, praktizieren sie eine ursprüngliche Form der Auseinandersetzung mit Welt. Sie richten sich in Zeitlupe auf, um als Strahlen der aufgehenden Sonne alle Winkel des Raums zu erhellen. Sie imitieren die ersten auf den Boden fallenden Regentropfen mit den Fingerspitzen, trommeln beim Sturzregen mit den Fäusten oder springen schnell wie ein Blitz aus jener Wolke, die fünf Kinder in blauen Hemden bilden.
Ihre Körper fühlen sich ein in die geschilderten Ereignisse. Beim Rennen mit der Plastikfolie in beiden Händen spüren die Wind-Kinder die Dynamik und Kraft des Windes, die Schnee-Kinder das sanfte Fallen von Schneeflocken beim Hinlegen. Diese Praxis des Anähnelns entspricht einem mimetischen Weltzugang, der Ähnlichkeiten zum Wirklichen nicht im reproduktiven Abbilden, sondern im Sicht- und Spürbarmachen von Kräften oder Strukturen sucht. Indem es Verbindungen zwischen Außen- und Innenwelt schafft, bringt mimetisch-nachahmendes Verhalten immer etwas Eigenes, durch persönliche Aneignung Gefärbtes hervor.
Petra Kathke, Professorin für Kunstpädagogik a.D., zuletzt an der Universität Bielefeld, und Autorin des Buches »Sinn und Eigensinn des Materials« führte zwanzig Jahre eine Kinderkunstwerkstatt in Berlin, bevor sie nach der Promotion in die universitäre Lehrer:innenbildung wechselte. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Praxis künstlerischen Lernens und Lehrens sowie Grundlagen ästhetischer Bildungsprozesse.
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