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Phänomene mit Schall
Wer sich für das Hören interessiert, kommt an der Erforschung von Schallphänomenen nicht vorbei. Die interaktiven Lernumgebungen zahlreicher Science Center und Mitmachmuseen ermöglichen einen spielerischen Zugang. Unsere Redakteurin Jutta Gruber besuchte gemeinsam mit einer Kindergruppe der Berliner AWO-Kita Sonnenschein eine solche Einrichtung, in der die Ausstellungsobjekte nicht nur betrachtet, sondern ausdrücklich auch angefasst werden dürfen.
Der Himmel ist grau, und es ist ungemütlich kalt. Unsere Stimmung ist jedoch bestens, als wir den Eingang zum Science Center Spectrum im Berliner Ortsteil Kreuzberg entdecken. Schon von Weitem hatte uns das Wahrzeichen des Deutschen Technikmuseums den Weg gewiesen: ein Transportflugzeug der Alliierten aus der Zeit der Berliner Luftbrücke, das auf dessen Dach montiert ist. Schnell sind Jacken und Rucksäcke in der Garderobe verstaut und die Eintrittskarten kontrolliert. Nach einem ausführlichen Blick auf das Foucaultsche Pendel im Erdgeschoss gelangen wir zu den interaktiven Experimentierstationen zum Themenkreis Musik und Schall in der oberen Etage. Eine Hinweistafel im Eingangsbereich informiert uns darüber, dass wir ständig von Schall umgeben sind. Aber was ist Schall eigentlich? In den nächsten anderthalb Stunden werden wir ihn, je nach Schwingungsform, als Knall, Geräusch, Klang oder Ton hören, fühlen, sichtbar machen und selbst erzeugen. Noch sind wir an diesem frühen Morgen die einzigen Besucher:innen und können unseren Interessen frei nachgehen. Einzeln oder zu mehreren nähern sich die Kinder den Experimentierstationen und deren Möglichkeiten. Die letzte Scheu verschwindet, nachdem wir ihnen mehrfach versichert haben, dass es nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht ist, alles anzufassen, sämtliche Knöpfe zu drücken, Regler zu bedienen und sogar auf das Gestell der Klangröhren zu klettern, um diese besser anschlagen zu können. Abwechselnd nutzen sie den dafür vorgesehenen Stick. Ich bin erstaunt, wie gut sich das von selbst regelt. Auch der Erzieher Sven Giese darf den Stick kurz haben und verblüfft die Kinder, indem er »Alle meine Entchen« auf den Röhren spielt.
»Hallo, hallo?«
Experimentierstationen wie die mit dem Klangspiel oder auch das Geräuschememory sind intuitiv zu bedienen. Die roten Würfel sehen zwar gleich aus, sie rasseln, rascheln oder klappern aber unterschiedlich. Die Kinder interessieren sich weder dafür, wie es zu diesen Unterschieden kommt, noch dafür, ob jeweils Würfel dieselben Geräusche machen. Fragen wie diese scheinen für sie heute keine Rolle zu spielen. Ihr Interesse gilt vielmehr der Vielfalt der Geräusche, und wir ziehen es vor, ihren Flow nicht zu unterbrechen. Faszination wirkt anziehend. Deshalb bilden sich immer wieder auch größere Gruppen um bestimmte Experimentierstationen. So zum Beispiel, als die Kinder in einer Ecke des Raumes – »Hallo, hallo« – eine Stimme hören, obwohl dort niemand zu sehen ist. Irritiert schauen sie sich um. Sie rufen »Hallo, hallo« und »Wer spricht da?« Wieder ertönt die Stimme. Auch ich höre sie. Sie hat viel Hall und ertönt aus einer großen Rohröffnung in jener Ecke, in der niemand steht. Offenbar glaubt ein Kind, die Stimme zu kennen und ruft »Heißt du Müslim?« in das Rohr. Dann hören wir Sven Giese lachen, und nach und nach erkennen auch wir anderen die Situation: Der geheimnisvolle Rufer ist der Erzieher Müslim Araz. Er sitzt jedoch weit entfernt am anderen Ende des langen Rohres. Obwohl alle Kinder ihn inzwischen dort entdeckt haben, rufen manche weiter »Hallo, ist da jemand?«, »Hallo, hallo?« Es scheint, sie brauchen in diesem besonderen Fall eine Weile, um das, was sie sehen, und das, was sie hören, in Einklang zu bringen – obwohl sie, so denke ich im Nachhinein, gewohnt sind, mit Menschen zu sprechen, die weit entfernt sind. Aber eben am Handy und nicht in Sichtweite am anderen Ende eines langen Rohres.
Viele Ahs und Ohs
Nach solchen Gemeinschaftserkundungen verteilen sich die Kinder stets rasch wieder im Raum, auf der Suche nach neuen Abenteuern. Elektronisch und mechanisch erzeugte Geräusche aller Art, Klänge, die durch Luftzufuhr entstehen, wie bei Orgelpfeifen, klare Töne von Stimmgabeln und sirenenartige Laute, deren Quelle mir bis zum Schluss verborgen bleibt, erfüllen den Raum. Aus allen Richtungen quietscht und blubbert, jault und klingelt es. Dank der für ein Science Center angemessenen Raumakustik strapaziert das ungewöhnliche Konzert unsere Nerven weniger als erwartet. Wenn von bestimmten Experimentierstationen besonders viele Ahs und Ohs ausgehen, finden die ausgeschwärmten Kinder dort schnell wieder zusammen. Eine solche Station ist die zum Richtungshören. Hier können sich die Kinder zwei Trichter an die Ohren halten oder zwei Kinder jeweils einen Trichter. Auch wenn das mit dem Richtungshören im letzteren Fall nicht funktioniert, weil dafür die zwei Ohren von einer Person benötigt werden, sind die Kinder auch hier vom Zusammenspiel dessen, was sie sehen – ein Stab, der an einem geriffelten Schlauch entlangstreift oder ihn anschlägt – und dem, was sie hören, beeindruckt.
Erlebnisorientiertes Lernen im Mitmachmuseum und anderswo
Als Teil des Deutschen Technikmuseums Berlin entstand 1990 das Science Center Spectrum als erstes Science Center Deutschlands. Vorbild war das 1969 in San Francisco gegründete Exploratorium. Der Begriff »Science Center« steht für erlebnisorientiertes Lernen mit dem Ziel, naturwissenschaftliche Phänomene durch eigenständiges und spielerisches Erleben verständlich zu machen. Das Science Center Spectrum lädt insbesondere Kinder, Jugendliche und Schulklassen auf vier Etagen – eine davon widmet sich dem Thema »Musik und Hören« – an interaktive Stationen zum Experimentieren ein. Im Sinne moderner Bildungsarbeit fördert es Neugier, Selbsttätigkeit und das Staunen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Mit den meist kleineren oder in herkömmliche Museen integrierten Mitmach- oder Erlebnismuseen verbindet es das Motto »Anfassen erwünscht« statt »Berühren verboten«. Eine Übersicht der inzwischen etwa 30 Science Center in Deutschland findet sich auf Wikipedia unter dem Stichwort »Science Center«. Wer kein Science Center oder Mitmachmuseum in erreichbarer Nähe hat, kann sich im Internet Anregungen zum Experimentieren mit Kindern im Kitaalter holen – beispielsweise im kurzweiligen Video der Trainerin von Stiftung Kinder Forschen Melanie Hecker, zu dem man unter Eingabe der Stichworte Neugier schafft Wissen. Wie hören Ohren auf YouTube gelangt. Einen Eindruck von den mit einem Geigenbogen erzeugten Frequenzbildern vermittelt ein weiteres Video, das man unter Eingabe der Stichworte Chladnische Klangfiguren von Milan_Physics ebenfalls auf YouTube findet.
Weiterführende Informationen (11.11.25):
https://de.wikipedia.org/wiki/Science_Center_Spectrum,
https://technikmuseum.berlin/spectrum/science-center-spectrum/
https://de.wikipedia.org/wiki/Chladnische_Klangfigur
Die Kita Sonnenschein im AWO Kreisverband Berlin-Spree-Wuhle e.V. befindet sich im Berliner Ortsteil Kreuzberg. Nach dem Motto »Der Weg ist das Ziel« begleiten unter der Leitung von Melek Başoğlu 28 Fachkräfte auf insgesamt vier Etagen bis zu 150 Kinder u.a. aus Polen, Litauen, Spanien, Israel, Italien, der Ukraine, der Türkei, Japan, Russland und Frankreich im offenen Konzept nach dem Situationsansatz.
Kontakt
www.awo-spree-wuhle.de/sonnenschein



