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Hörabenteuer für die Jüngsten
Wenn die Kinder des Freiburger Waldkinder e.V. energiegeladen am Sammelplatz ankommen, machen sie oft erst einmal ordentlich Krawall. Die Sozialpädagogin Kerstin Lange und die Forstwirtin Jana Seidel-Burger unterstützen das, denn so gelingt es später mit der Stille besser, wenn sich der scheue Fischreiher zeigt. Täglich beobachten sie, welche Geräusche, Töne und Klänge es im Wald und auf der Wiese zu entdecken gibt, und zeigen, wie schon Jüngste vom Rascheln und Krachen in der Natur profitieren.
Unser Mäusebaum ist umgefallen. Gleich am Sammelplatz. Er heißt Mäusebaum, weil wir früher oft Essenskrümel an das Mauseloch an seinem Stamm auf den Boden gestreut haben. Heute dient er als Balancier- und Trommelbaum. Das Mauseloch ist inzwischen verschüttet, aber dafür ist das Spechtloch nun gut zugänglich. Zum Trommeln laden wir die Kinder immer dann ein, wenn sie besonders energiegeladen nach einem erlebnisreichen Wochenende ankommen oder die Situation dazu einlädt. Vielleicht hat es am Vorabend gestürmt und sie haben schon jede Menge Stöcker gesammelt und fuchteln mit denen bereits herum oder hauen mit ihnen sowieso schon irgendwo drauf? Statt weitere Unruhe zu erzeugen, sagen wir dann, »Hey, lasst uns doch mal das Lied vom Trommelkönig von Kalimbo singen«, und fangen selbst an, auf den Mäusebaum zu trommeln. 
Ziemlich archaisch
Trommelgeräusche haben etwas Archaisches, Elementares. Sie wirken anziehend. Alle wollen mitmachen. Die Kinder greifen sich Stöcke und trommeln mit. Wer das Lied schon kennt, singt mit. In der dritten Strophe, wenn der König Kalimbo wütend ist, trommeln wir laut, und in der letzten Strophe, wenn er nachts ganz leise trommelt, weil er niemanden wecken möchte, trommeln wir leise. Nach dem Lied ist meist noch lange nicht Schluss. Die Kinder testen, wie laut und wie leise sie trommeln können und welchen Unterschied es macht, ob sie dafür große oder kleine Stöcker nehmen. Interessant an einem vor langer Zeit umgestürzten Baum ist auch, dass er, anders als ein gerade erst umgestürzter Baum, eine vielgeartete Oberfläche hat. Wo er bereits morsch ist, oder schon Moos angesetzt hat, gelingt ein lauter Ton beispielsweise gar nicht. Er ist dort einfach nur dumpf und leise. Ebenso wenig gelingt ein schöner Ton, wenn die Kinder versuchen, mit Reisig zu trommeln.
Am klarsten und hellsten gelingen die Töne an Stellen, wo keine Rinde mehr ist und am beeindruckendsten, wo der Specht einst sein Loch in den Baum gehackt hat. Ähnlich wie bei einem Resonanzkörper klingen die Töne dort besonders schön. Sie wirken hohl und groß und klingen recht lange nach. Die Schwingung dieser Töne spüren wir auch im Körper. Manchmal vibrieren die Kinder richtig dabei und beginnen, sich körperlich wahrzunehmen. Sie bekommen etwas zurück. Eine Verbindung entsteht. Oft fangen die Kinder dann an zu lachen. Oder sie werden still und beginnen, dem Baum zuzuhören. Von nah und fern Still sein zu können und wahrzunehmen, was um einen herum geschieht, ist eine wichtige Kompetenz. Mitunter lebenswichtig. Direkt an unserem Wald verläuft eine Straße. Wir überqueren sie täglich auf dem Weg zu unserer Schutzhütte und üben dort das Stillsein. Alle stellen sich dort breitbeinig hin: das Zeichen für »Sperrung«. Dann zitieren wir die Zeile »Seid ein bisschen stille« aus einem unserer Tischsprüche und sagen, »Spitz die Ohren«. Auf dieses Signal hin richten wir mit den Fingern unsere Ohren auf besten Empfang aus. Die Kinder sind ganz dabei, bis wir schließlich die Straße zum Überqueren freigeben. Bereits von weitem erkennen sie die Kehrmaschine und natürlich auch die Straßenbahn. Auf diese Weise verinnerlichen sie, dass laute Fahrzeuge in der Nähe sind und leise weiter weg. Wir beobachten, dass sie dieses Wissen auch auf andere Situationen übertragen, zum Beispiel um im Wald an der Lautstärke von Stimmen abzuschätzen, wie weit sie sich von anderen entfernt haben.
Wer gelernt hat, still zu sein, schafft es auch, nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören, wie Eichhörnchen von Baum zu Baum hüpfen, oder sich an den Fischreiher ranzuschleichen, wenn wir ihm morgens begegnen, bis er – oftmals unter lautem Kreischen – wegfliegt. Mit Vögeln sind wir generell sehr verbunden. Beispielsweise mit den Krähen. Wenn wir während der Vesper auch etwas Vogelfutter verteilen, kommen immer erst die Meisen. Ihr Fiepen hören wir schon, wenn sie noch im Anflug sind. Die Krähen hingegen sitzen solange krächzend in den Bäumen, bis die Meisen mit uns zusammen den Platz verlassen haben, um sich über all die Krümelchen herzumachen, die uns beim Essen heruntergefallen sind.
Ein Krokodil! Ein Krokodil!
An kalten Vormittagen frühstücken wir gern am Damm neben der Wiese. Hier ist es von den ersten Sonnenstrahlen oft schon früh warm. Oben auf dem Damm ist ein Gitter. Das zieht die Kinder magisch an. Von dort oben werfen sie Steinchen einen vier oder fünf Meter langen Schacht hinunter oder rufen hinein. Über eine Treppe können sie den Damm bis zum Ende des Schachts hinablaufen, wo auch wieder ein Gitter zum Schacht ist. Wenn die Kinder dort hineinrufen, hallen ihre Stimmen bis nach oben. Sogar ein bisschen Echo ist dabei. Die Kinder sehen sich nicht, hören sich aber. Unten im Schacht läuft ein kleiner Bach. In dem wohnt seit einiger Zeit ein Krokodil. Wenn die Kinder nach ihm rufen, ruft das Krokodil – genau genommen sind wir das mit verstellten Stimmen – zurück. Ist das Krokodil schlecht gelaunt, ruft es, »Ah, … ich bin doch schon gar nicht mehr da. Ich will schlafen, lasst mich doch schlafen« oder »Hier ist das Krokodil vom Nil, was habt ihr mir zu essen mitgebracht?«, wenn es hungrig ist.
Je nach Situation rufen wir die Stimme vom Krokodil von oben oder unten durchs Gitter. Die Kinder hören das Krokodil, sind aber wegen des Halls unsicher, von wo genau die Stimme kommt. Das hat schon etwas Fantastisches. Wer wollte nicht mal so ein Krokodil sehen? Doch es bleibt bei der Stimme, denn bis zum Krokodil zu schauen gelingt ihnen nicht. Manchmal werfen sie Gras zu ihm hinunter. Kürzlich hatte das Krokodil Husten und Schnupfen und war besonders unleidlich. Dann haben die Kinder Löwenzahn und Spitzwegerich gesammelt und warfen die Pflanzen durchs Gitter zu ihm hinunter, damit es wieder gesund wird. Wenn sie Steine runterwerfen, lacht das Krokodil und ruft: »Das ist aber schön, könnt ihr noch mehr runterwerfen, weil das kitzelt so schön.« Oder es ruft, dass die Kinder die Steinchen ins Wasser schmeißen sollen und nicht auf den Beton neben das Bächlein, weil das so schön platscht. Die Kinder versuchen das dann auch und hören genau hin, ob es mehr ein dumpfes »flupp« oder ein helles »pling« macht, wenn ihre Steinchen unten landen.
Kerstin Lange ist Diplom-Sozialpädagogin und hat zusammen mit der Diplom-Forstwirtin Jana Seidel-Burger die Einrichtung Waldkinder e.V. in Freiburg maßgeblich aufgebaut und gestaltet. Mit ihrem Team betreuen sie dort Kinder im Alter von eineinhalb bis zwölf Jahren in mehreren altershomogenen Gruppen. In Betrifft KINDER 11-12/22, 05-06/23 und 05-06/24 erschienen ihre Beiträge zur Bedeutung von Wasser, Feuer und Risiken in ihrer pädagogischen Praxis: »Wasser Marsch. Vom Rutschen im Matsch und Laufen im Bach«, »Mehr als Knallen und Knistern. Faszination Feuer auch mit den Jüngsten« und »Stolpern erlaubt. Risiken einschätzen und eingehen lernen. Auch schon mit den Jüngsten«. Gemeinsam sind sie Co-Autorinnen der 2020 beim Verlag das Netz erschienenen Publikation Natürlich draußen. Mit den Jüngsten im Naturraum unterwegs und teilen neben der Liebe zur Natur auch die Leidenschaft für Atelier- und Werkstattpädagogik.
Kontakt
www.waldkinder.net



