Das Krippenatelier als Ort für kleine Forscher

Wenn Mona und Hans Radecke sich heute an die Eingewöhnungszeit ihrer Tochter in der Krippe erinnern, lächeln sie. Denn nicht nur für Lara, sondern auch für die Eltern war dieser Wechsel vom vertrauten Daheim in die Krippengruppe eine spannende Erfahrung. Unsicherheiten und Überraschungen blieben nicht aus. Zum Beispiel, als den Eltern von Erzieherin Vera nasse Hemdchen und beschmierte Hosen überreicht wurden, als sie Lara abholten. Lara sagte freudestrahlend: »Hab matscht!«

Matschereien in der Krippe? Und das nicht etwa nur aus Versehen, sondern gezielt und als Teil des Bildungsangebots? Für Mona und Hans passte das anfangs nicht zusammen, weil sie sich zu Hause darum bemühten, Lara das Verschmieren des Essens abzugewöhnen.

Vielen Eltern, aber auch Pädagogen, geht es ähnlich. Sie sehen und erleben, dass Kinder beim Malen und Gestalten versuchen, sich Aufschluss über die sie umgebende Welt zu verschaffen, und suchen nach Kreativangeboten, die den Kleinkindern den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zeigen sollen: »Ich möchte, dass wir jetzt die Papierschnipsel aufkleben und einen bunten Bilderrahmen herstellen.« Oder: »Schaut mal, ich habe viele Ausmalbilder mitgebracht. Ihr könnt euch eins nehmen und es bunt ausmalen.«

Solche Bildungsangebote sind gut gemeint, vernachlässigen aber das momentane Entwicklungsbedürfnis der Kinder und versuchen, die auf Vielfalt angelegten Aktivitäten der Kinder auf ein Ziel zu fokussieren. Die Ergebnisse, also der Bilderrahmen und das sorgfältig ausgemalte Bild, sind nur für die Erwachsenen von Bedeutung. Die Kinder interessieren sie nicht.

Kleinkinder wollen beim Umgang mit Stift und Pinsel, Kleber und Schere fast nie etwas darstellen. Es geht ihnen nicht um die Schaffung eines Werks. Sie sind auf der Suche nach Erfahrungsmöglichkeiten, wollen Spuren hinterlassen. Deshalb muss sich niemand wundern, dass viele Kinder bei derlei Kreativangeboten schon nach wenigen Minuten beginnen, die Papierschnipsel nicht auf das vorgesehene Papier, sondern auf den Boden, die Wand oder die Nase zu kleben.

In der frühen Kindheit lernt der Mensch so viel wie niemals später. Aber er lernt nicht so, wie seine Eltern oder Großeltern sich das vorstellen: Kleinkinder sitzen an kleinen Tischen, Blätter im DIN A4-Format und eine Dose Buntstifte vor sich, konzentriert den Worten eines Erwachsenen lauschend. Nein, kleine Kinder lernen mit dem Körper. Dabei benutzen sie vor allem die Hände, um die Welt zu begreifen. Im Zusammenspiel des Körpers mit der Umwelt machen sie Erfahrungen, die eine wichtige Grundlage für ihr späteres Lernen und Handeln sind.

Jede Entwicklungsleistung kleiner Kinder beruht auf einem stetig wachsenden Repertoire an Fähigkeiten, Mustern und Routinen. Beobachten wir ihr Tun, sehen wir zu, wie sie scheinbar sinn- und ziellos hantieren, dann verstehen wir zunehmend besser, dass das, was uns ziel- und sinnlos erscheint, Lernen ist. Die Kinder machen sich spielend mit ihrer Umgebung vertraut und probieren jeden Gegenstand, der ihnen in die Hände kommt, auf seine Funktionsweise aus. Sie denken handelnd.

Dieses spielende Lernen und handelnde Denken fordert das ganze Kind. Mit allen Sinnen, mit Händen, Füßen und Mund wird probiert, erprobt und erfühlt. Auch Bauch und Po dürfen nicht fehlen. Wie fühlt sich der Brei im Gesicht an? Welches Geräusch machen die Hände, wenn sie zusammengeschlagen werden? Creme auf dem Bauch und Schaum in den Haaren – was ist das für ein Gefühl? Dass Stift und Papier die Neugierde und das Explorationsbedürfnis der Kinder nur kurzfristig befriedigen, scheint nur zu offensichtlich.

Was gibt es Schöneres als einen Raum fürs Ausprobieren und Experimentieren? Einen Raum, um mit den Dingen zu handeln, um herauszufinden, was man mit ihnen anstellen kann?

Ein Krippenatelier zum Malen, Matschen und Gestalten. Darin braucht es nicht mehr als eine unendliche Anzahl an Lernmöglichkeiten: Dinge zum Anfassen, Anlecken, Besteigen, Herausräumen, Zerlegen, Zusammentun. Plätze zum Bewegen, Verteilen, Bemalen und Bematschen. Herausforderungen in allen Ecken, die anregen:


Solche Fragen müssen Erwachsene leiten, nicht das Nachdenken über ein erwünschtes Ergebnis.
Das Atelier ist der ideale Ort, um den elementaren Experimenten in der frühen Kindheit – das Verstecken und Verbinden von Dingen, das Untersuchen der Schwerkraft und Balance, das Transportieren von Gegenständen, der Spaß am Rotieren und dem Rollenspiel – Raum zu geben. In einem solchen Raum beschäftigen sich kleine Kinder mit Forscher-Fragen: Wie verhalten sich Materialien? Warum sieht etwas so aus und nicht anders? Wie fühlt sich ein Material an? In welcher Verbindung steht sein Aussehen dazu?

Wer die Dinge schon früh mit Fingern, Mund, Auge und Leib erfahren kann, hat die Welt auf eine Weise begriffen, die es ihm später erlaubt, sie auf höheren Stufen zu verstehen.
Mona und Hans Radecke sind begeistert von Laras neuen Entdeckungen und ziehen ihr am Atelier-Tag etwas an, in dem sie sich richtig vollmatschen kann.


Antje Bostelmann und Michael Fink
 


  Zurück zur Übersicht  

Zum Seitenanfang